Dieser Text wurde in einer Kursarbeit im Leistungskurs Sozialkunde am 14.11.2022 geschrieben. Die Aufgabenstellung war "ErlÀutern Sie ausgehend von M1 die Textpassage: 'So berief er sich auf das Recht auf Selbstverteidigung, (...) als angeblichen PrÀzedenzfall in Erinnerung' ".
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Putin bezieht sich bei seinen Legitimationsversuchen fĂŒr die Invasion der Ukraine immer wieder auf den angeblichen PrĂ€zedenzfall der NATO- Intervention im Jahr 1998. Als damals nach dem Tod des autoritĂ€ren Machthabers Tito ethnische Konflikte auf dem Balkan aufflammten und Jugoslawien auseinanderfiel, kam es zu zahlreichen Kriegen zwischen den verschiedenen NationalitĂ€ten und Ethnien, die sich jahrelang hinzogen. Einer dieser entstand im Kosovo, einer Region die ĂŒberwiegend von Albanern bevölkert wird, damals jedoch zu Serbien gehörte. Der damalige serbische PrĂ€sident Milosevic lieĂ anklingen, dass es im Kosovo eventuell zu einem Völkermord an den Albanern kommen könnte und die systematische Misshandlung hatte bereits eingesetzt. Da es in der Region einige Jahre zuvor im Bosnien- Krieg schon einmal zu schrecklichen Kriegsverbrechen gekommen war, intervenierte die NATO ohne UN- Mandat (welches von Russland blockiert wurde) im Kosovo, um solche erneuten VorfĂ€lle zu verhindern. ZunĂ€chst wurden Luftangriffe gegen serbische Stellungen geflogen, spĂ€ter auch Bodentruppen im Rahmen der KFOR (Kosovo- Force) geschickt. Bei dieser Operation wurde auch die deutsche Armee zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder bei einem Konflikt im Ausland eingesetzt, was damals nicht unumstritten war. Der Knackpunkt bei der ganzen Sache und auch der Grund, warum sich Putin darauf beruft, ist das fehlende UN- Mandat, welches damals von Russland blockiert wurde. Die NATO hat damals die Erfahrungen aus Bosnien und die glaubhafte Schilderung der Situation im Kkosovo vor den Vereinten Nationen als BegrĂŒdung fĂŒr ihre humanitĂ€re Intervention angefĂŒhrt, letztendlich war es aber trotz aller guten GrĂŒnde wegen des fehlenden Mandats ein VerstoĂ gegen das Völkerrecht bzw. Die territoriale SouverĂ€nitĂ€t eines Staates. Putin argumentiert Ă€hnlich: Er behauptet, dass in der Ostukraine Russen von der ukrainischen Regierung systematisch misshandelt und unterdrĂŒckt werden und hat mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker die âBefreiungâ der ostukrainischen Gebiete zum Ziel erklĂ€rt. Dieser Vergleich hinkt allerdings an allen Ecken und Enden: Die Situation der Russen ist nicht annĂ€hernd die gleiche wie die der Albaner im Kosovo 1998, denen ein Völkermord bevorstand. Das heiĂt, eine humanitĂ€re Intervention ist ĂŒberhaupt nicht erforderlich, da es keine humanitĂ€re Notlage gibt. AuĂerdem war es nie die Absicht der USA oder NATO, Gebiet zu annektieren. Es wurde interveniert und anschlieĂend die SouverĂ€nitĂ€t an das kosovarische Volk abgegeben. Russland hingegen hĂ€lt âReferendenâ ab, die mit ĂuĂerung des Volkswillens nichts zu tun haben (die Boxen fĂŒr die Stimmzettel sind durchsichtig, Leute werden mit bewaffneten Wahlaufsehern eingeschĂŒchtert, etc.) und nutzt diese dann als Legitimation fĂŒr die Annektierung von Gebieten. Wie man sehen kann, sind die Intervention der NATO im Kosovo und Russlands Invasion der Ukraine also (entegegen Putins Ansicht) nicht vergleichbar.
Im Licht des Kosovo- Krieges wurde der Konflikt zwischen Menschen- und Völkerrecht besonders deutlich: Einerseits gab es gute GrĂŒnde fĂŒr den Eingriff der NATO, andererseits kann man argumentieren, dass durch den Bruch des Völkerrechts sein erklĂ€rtes Ziel, die Wahrung des Weltfriedens, gefĂ€hrdet wurde. Daher wurde in den 2000ern die âResponsibility to Protectâ beschlossen, die in einer solchen Dilemmasituation eine Handlungsorientierung bieten kann. Sie besagt, dass jeder Mensch ein Recht auf Sicherheit und Schutz hat. Die ErfĂŒllung dieses Rechts liegt zunĂ€chst einmal beim jeweiligen Staat selber. Ist dieser jedoch nicht in der Lage oder willens, seiner Pflicht nachzukommen, kann diese Verantwortung auf die internationale Gemeinschaft ĂŒbergehen. Damit ist staatliche SouverĂ€nitĂ€t nicht lĂ€nger eine âLizenz zum Tötenâ, d.h. Staaen können mit ihrem Volk nicht mehr machen, was sie wollen. Auch auf die âResponsibility to Protectâ beruft sich Putin, der sich als Retter und BeschĂŒtzer der russischen Bevölkerung in der Ostukraine versteht. Hier bleibt aber das selbe zu sagen wie vorhin: Es gibt niemanden zu beschĂŒtzen und die Situation ist nicht mit der im Kosovo 1998 zu vergleichen. Putin schiebt all das vor, um seinem Handeln einen legitimen Anstrich zu geben.